Wann ist man eine Familie? Ich habe in letzter Zeit viel darüber nachgedacht – meine beiden Schwestern sind über 30 und haben je zwei unfassbar coole Kinder. Die beiden haben Bilderbuchfamilien gegründet: Wenn man dem Duden glauben darf, ist Familie eine „aus einem Elternpaar oder einem Elternteil und mindestens einem Kind bestehende Lebensgemeinschaft“. Ok – aber was ist dann mit mir? In meiner Lebensgemeinschaft gibt es keine Kinder – nur mich und seit nunmehr zehn Jahren den Mann meiner Träume in einem Haushalt. Sind wir jetzt also keine Familie?

Wer ist eigentlich meine Familie?

Was ist mit den Beziehungen, die sich genauso stark anfühlen, genauso wertvoll sind – aber eben nicht auf Blutsverwandtschaft basieren? Was ist mit den Pflegeeltern, meinem langjährigen Lebenspartner, meiner besten Freundin seit Kindertagen oder meiner nicht blutsverwandten Patentante? Was ist mit dem schwulen Pärchen und den vielen Patchwork-Familien da draußen? Familie ist eben nicht immer nur Blutsverwandtschaft. Es ist an der Zeit, dass wir Familie als Gemeinschaft erleben und uns von der Konformität traditioneller Familienstrukturen lösen. Es ist an der Zeit, dass wir unsere Vorstellung von Familien erweitern und alternative Modelle neben dem traditionellen Vater-Mutter-Kind-Modell anerkennen. Es ist wichtig, dass wir diese Vielfalt anerkennen und unterstützen.

Es ist bereichernd, diese uns wichtigsten Menschen als Familie zu betrachten und sie auch so zu benennen. Und es ist vor allem auch bereichernd, diese ältesten, engsten Beziehungen zu pflegen und zu stärken. Ob nun zu Familienmitgliedern mit oder ohne Blutsverwandtschaft. Aber warum?

Familienbande und wie sie uns prägen

Die Familie ist ein enorm wichtiger Bestandteil unseres menschlichen Zusammenlebens. Seit wir irgendwann gegen Ende der Steinzeit das Nomadenleben aufgegeben haben, leben fast alle menschlichen Gesellschaften in mittleren und großen Familienverbänden. Die Familie war Kreißsaal, Kindergarten und Krankenversicherung in einem. Noch bis ins vorige Jahrhundert blieb einem jung verliebten Paar, das nicht von der Familie akzeptiert war, nur eine Lösung fürs gemeinsame Glück: Durchbrennen und irgendwo - ohne den Schutz der Familie - komplett neu anfangen. Wer die Familie verließ, war auf sich allein gestellt.

Steinzeit und Mittelalter haben wir ja nun glücklicherweise hinter uns gelassen. Wir nehmen uns die Freiheit, unsere eigenen Werte zu leben. Wir wählen, wen wir lieben, wo wir arbeiten, wie wir leben. Ganz bewusst nabeln wir uns von unseren Eltern und Großeltern ab und ziehen aus: zur Ausbildung, zum Studium oder zum ersten Job. Wir können uns das leisten – denn der Staat hilft uns in Kernbereichen, die früher eine Familie geleistet hat. Also mit Kreißsaal, Kindergarten, Krankenversicherung. Allerdings gibt es eben auch manche Bereiche im Leben, in denen der Staat uns nicht helfen kann. Nicht umsonst zeigen mehr und mehr Studien, dass Einsamkeit vor allem in Großstädten zu einem immer größeren Problem für viele Menschen wird. So ganz ohne Familie geht’s eben auch nicht.

Warum sind Familienbande so stark?

Familie ist eben noch viel mehr als eine Sozialversicherung (zum Glück) – Familie gibt uns Geborgenheit, Zugehörigkeit und Sicherheit. Ja klar, Eltern und ihre Kinder, aber auch Geschwister untereinander teilen dasselbe (sprichwörtliche!) Blut. Sie teilen auch Erinnerungen an die guten und die schlechten Zeiten, an Gesundheit und Krankheit. Sie erleben, dass sie füreinander da sind, in den glücklichen und den furchtbaren Phasen des Lebens. So entstehen gemeinsame Werte und Vertrauen ineinander. Solche Beziehungen, in denen Blut sprichwörtlich dicker ist als Wasser, sind etwas ganz Wunderbares. Jede Eltern-Kind oder Geschwisterbeziehung, die sich so entwickeln darf, ist ein Geschenk. Blutsverwandtschaft ist jedoch keine Voraussetzung für so eine starke Beziehung.

Gemeinsam durch Dick und Dünn: Ideen für starke Familienbande

Denn: „Von nix kommt nix“: Das gilt auch für belastbare Beziehungen – ob mit oder ohne Blutsverwandtschaft. Beziehungen wollen gehegt und gepflegt werden. Sie brauchen Zeit, liebevolle Zuwendung und ein gewisses Maß an Priorität. Hier ein paar Vorschläge, wie wir unsere Definition von Familie erweitern und besondere Momente mit unseren Liebsten schaffen können. Vielleicht findest Du dabei auch die perfekte Idee für Dich:

  • Wer ist eigentlich meine Familie? Wem vertraue ich blind? Es kann hilfreich sein, sich mit diesen Fragen hin und wieder mal auseinander zu setzen. Manche „formelle“ Rollen, die wir als Gesellschaft haben, können ziemlich unkompliziert und frei bestimmbar besetzt werden. Wichtige Menschen können Trauzeugen oder Taufpaten werden. Wir können sie in Patientenverfügungen oder gar in unserem Testament berücksichtigen und damit ausdrücken: „Du bist mir wichtig und ich wünsche mir, dass Du Teil meiner Familie bist.“
  • Gemeinsam Abenteuer erleben. Das kann ein Besuch ins Museum oder den Klettergarten sein, oder ein erstes Mal den einen spektakulären Kuchen backen oder ein Schokofondue essen. Alles, woran Ihr Euch auch in zehn Jahren noch erinnert. Schafft bewusst Erinnerungen mit den Menschen, die Eure Familie sind.
  • Alte Fotoalben durchschauen. Das ruft Erinnerungen wach an Schönes und Schreckliches, das wir zusammen erlebt haben. Dadurch bleiben Erinnerungen wach und Beziehungen lebendig.
  • Nehmt Euch Zeit für tiefergehende Gespräche. Oft geht das am besten zu zweit. Also im vertraulichen Gespräch mit der einen Person. Macht einen Spaziergang, fahrt mit dem Auto irgendwo hin, geht zusammen essen - nur Ihr zwei. Vielleicht geht Ihr auch gerne zu zweit in die Kneipe von früher. „Quality-Time“ ist das Zauberwort.
  • Füreinander da sein: In Notsituationen alles stehen und liegen lassen. „Ich bin für Dich da“ signalisieren. Zur Not am Telefon oder mit einer Postkarte – besser mit einer festen Umarmung und konkreter Hilfe.

Familie ist etwas ganz Wunderbares. Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der wir unsere Familien nach unseren eigenen Vorstellungen formen und stolz auf sie sein können - unabhängig von klassischen „Vater-Mutter-Kind“-Modellen. Auch mein Freund und ich sind dann ganz einfach eine Familie.

Wer ist Deine Familie?