Werde ich nicht schwanger, weil ich zu viel Stress habe?

Nein: Stress hat keinen direkten Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit schwanger zu werden. Auch wenn viele Leute Paare kennen, bei denen es plötzlich im Urlaub geklappt hat, oder sobald sie „losgelassen“ haben. Es ist ein hartnäckiger Mythos, dass Stress eine Schwangerschaft dauerhaft verhindert.

Ist Dein Stresslevel dann also völlig egal, wenn Du schwanger werden willst? Ganz so einfach ist das leider auch nicht.

Lass uns in diesem Artikel zusammen anschauen, wie das mit Stress und Kinderwunsch ist. Konkret geht es um die folgenden Fragen:

  • Kann Stress die Ursache sein, dass ich dauerhaft nicht schwanger werde?
  • Welche anderen Zusammenhänge zwischen Stress und Schwangerwerden gibt es?

„Fahrt doch mal in den Urlaub, dann klappt‘s auch mit dem Schwangerwerden“. Hast Du auch schon gut gemeinte Ratschläge dieser Art bekommen? Vielleicht kennst Du oder jemand in Deinem Umfeld auch Paare, bei denen das sogar genau so funktioniert hat. Also warum klappt es bei Dir nicht, wenn Du in den Urlaub fährst? Weil es eben bei den meisten nicht am Stress liegt, wenn sie monatelang nicht schwanger werden.

Ohne Verhütung schwanger zu werden ist gar nicht so wahrscheinlich, wie viele denken. Denn die natürliche Schwangerschaftswahrscheinlichkeit pro Zyklus liegt im Alter zwischen 20 und 30 im Durchschnitt nur zwischen 20 und 30 Prozent. Mit 35 liegt sie durchschnittlich unter 15 Prozent1. Diese Wahrscheinlichkeiten gelten allerdings für den Fall, dass bei Mann und Frau medizinisch alles in Ordnung ist. Es ist also ganz normal, wenn es ohne Verhütung nicht sofort klappt. Denn wie Du siehst, gibt es rein körperlich schon verschiedene Faktoren, die das Schwangerwerden beeinflussen. Natürlich gibt es außerdem auch Verhaltensweisen, die ungünstig sind, wenn Du schwanger werden willst - zum Beispiel Rauchen. Beruflicher oder privater Stress selbst gehört aber nicht direkt dazu. Trotzdem ist das persönliche Stresslevel nicht ganz egal. Warum das so ist, dazu später mehr.

„Es gibt ja auch Studien, die sagen, dass gestresste Frauen schwieriger schwanger werden!“

Ja, die gibt es. Das ist bei vielen Fragen der Fall, die wissenschaftlich untersucht werden: Es gibt Studien, die einen Zusammenhang zwischen zwei Dingen feststellen und andere, die keinen feststellen. Das ist ein normaler Teil des wissenschaftlichen Prozesses. So ist das auch beim Thema Stress & Schwangerschaft.

Einen Zusammenhang zu beobachten ist allerdings nicht dasselbe, wie eine Ursache zu finden. Kleines Beispiel: Es glaubt ja auch niemand (mehr), dass Störche Kinder bringen. Und das, obwohl es einen klaren statistischer Zusammenhang gibt, dass in Gebieten mit vielen Störchen mehr Kinder geboren werden als in Gebieten mit weniger Störchen. Die Ursache für diesen Zusammenhang ist eine andere: Störche nisten in ländlichen Gebieten und die sozio-ökonomische Bedingungen dort führen dazu, dass die Menschen in diesen Gebieten durchschnittlich mehr Kinder bekommen.

Also nochmal zum Mythos: Warum wird man durch Stress nicht schwanger? Um solche Vermutungen zu überprüfen, schauen sich Wissenschaftler viele Studien an. Wenn die Studien hochwertig sind und die Ergebnisse in dieselbe Richtung zeigen, leiten sie daraus Empfehlungen ab. Man spricht dann von einem wissenschaftlichen Konsens. Wie sieht also die Studienlage bei Stress und Schwangerwerden aus?

  • Manche Untersuchungen finden einen Zusammenhang zwischen Stress und Schwangerschaft.
  • Es gibt aber auch Studien, die diesen Zusammenhang nicht nachweisen können.
  • Es gibt keine größeren Untersuchungen, die Stress als alleinige oder wesentliche Ursache eindeutig belegen können2.
  • Auch in methodisch hochwertigen Untersuchungen zu IVF-Behandlungen konnte kein direkter Einfluss von Stress auf das Schwangerwerden nachgewiesen werden3.

Wegen Stress nicht schwanger zu werden ist ein Mythos!

Deshalb ist der aktuelle Stand (der wissenschaftliche Konsens) beim Thema Stress & Schwangerwerden:  Wenn eine Frau nicht schwanger wird, liegt es nicht an zu viel Stress. Dabei ist egal, ob es auf natürlichem Weg probiert wird oder im Rahmen einer IVF2. Trotzdem ist es wichtig, in der Kinderwunschzeit auf das eigene Stresslevel zu schauen.

Warum ist das persönliche Stresslevel nicht egal? Warum kann Stress in der Schwangerschaft trotzdem ein Problem sein?

Kurz vorneweg: Weil Stress Auswirkungen auf unser Verhalten hat. Wenn wir gestresst sind, verändert das unser Verhalten. Auf der Arbeit reagieren manche bei Stress vielleicht gereizter oder gönnen sich einen Schokoriegel als Ersatz für das ausgefallene Mittagessen. Wenn Schokoriegel nicht das neue Standard-Mittagessen werden, ist das auch kein Problem. Führt Stress aber dazu, dass sich neue, „schlechte Gewohnheiten“ einschleichen, kann das ungünstig für das Schwangerwerden sein. Solche „schlechten Gewohnheiten“ können sein:

  • Gestörtes Essverhalten: es wird dauerhaft viel zu viel (zum Beispiel in Form von Essattacken), sehr wenig oder sehr unregelmäßig gegessen (zum Beispiel nur ein Mal am Tag); hierzu gehört auch eine sehr stark eingeschränkte Lebensmittelauswahl wie zum Beispiel nur Eiweiß und Gemüse zu essen
  • Hochleistungssport oder dauerhaftes Auspowern beim Sport
  • Übermäßiger Konsum von Genussmitteln (z. B. zu viel Alkohol oder Rauchen), Medikamentenmissbrauch (zum Beispiel Beruhigungs- oder Aufputschmittel) oder Drogen
  • Kein Geschlechtsverkehr an fruchtbaren Tagen (Stress ist bei den meisten Menschen ein Lustkiller)
  • Mehr Streit in der Partnerschaft, denn dann fühlen wir uns weniger verbunden und nah und haben weniger Sex.
  • Ein Paar will eigentlich eine Kinderwunschbehandlung machen, fängt sie dann aber doch nicht an oder zieht sie nicht optimal durch (hält z. B. den Behandlungsplan wegen zu viel Terminstress nicht durch).

Stress und Schwangerwerden sind also nicht unabhängig voneinander. Das liegt daran, dass in unserem Körper bei Stress einfach andere Prozesse ablaufen, die unser Verhalten beeinflussen. Und dann kann es für manche auch schwieriger sein, schwanger zu werden, z. B. weil sie als Paar nicht mehr so intim sind oder das Rauchen wieder anfangen bzw. das Aufhören nicht schaffen. Es ist aber nicht so, dass der Stress selbst eine Schwangerschaft dauerhaft verhindert. Das eigene Stressverhalten auf den Prüfstand zu stellen, ist vor allem sinnvoll, wenn medizinisch alles in Ordnung ist, und man trotzdem nicht schwanger wird.

Die Kinderwunschbehandlung stresst mich – wie soll ich da auf mein Stresslevel achten?

Schauen wir uns das einmal genauer an: Wie kann eine Kinderwunschbehandlung Stress verursachen? In einer Kinderwunschbehandlung kommt es immer wieder zu Wartezeiten. Ein Beispiel ist die Zeitspanne zwischen Embryotransfer und Schwangerschaftstest. Nach dem Einsetzen des Embryos muss ungefähr 14 Tage gewartet werden, bevor ein Schwangerschaftstest gemacht werden kann und man weiß, ob es geklappt hat. Diese 14 Tage „Hibbelzeit“ erleben viele Frauen und Männer als die größte Zerreißprobe in der Kinderwunschbehandlung.

Während dieser Wartezeit hoffen und bangen sie, dass die Schwangerschaft klappt. Sie stellen sich Fragen wie: Was ist, wenn es diesmal wieder nicht klappt? Können wir uns einen weiteren Versuch noch leisten? Verschulden wir uns vielleicht und bleiben am Ende trotzdem kinderlos? Haben wir noch genug Eizellen? Muss ich vielleicht nochmal eine anstrengende Hormonstimulation machen? Wie kann ich die ganzen Termine unter einen Hut bekommen? Im Job und privat? Solche und ähnliche Fragen können eine:n Einzelne:n, aber auch die Partnerschaft extrem stressen3. Die Ursache für diesen Stress ist dann die Kinderwunschbehandlung.

Was kannst Du hier tun? Du kannst gezielt und bewusst entgegenwirken. Wenn Du merkst, dass Du Dich belastet fühlst, kannst Du Dir Unterstützung suchen – bei Freund:innen, Familie oder auch bei Beratungsfachkräften (z. B. bei BKiD). Oder Du probierst aus, ob Dir Entspannungstechniken helfen, dass Du Dich weniger gestresst fühlst. Selbstfürsorge ist in der Kinderwunschzeit wichtig, damit Du mental gut durch die Behandlung kommst. Auch wir helfen Dir mit MentalStark dabei, wenn Du das möchtest.

Warum hält sich der Gedanke so hartnäckig, dass mein Stress schuld ist?

Ist Schwangerwerden Kopfsache? Nein. Stress und andere negative Gedanken oder Gefühle haben keinen direkten Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit schwanger zu werden. Der Gedanke ist aber psychologisch erklärbar: Unsere angeborene Neugier lässt uns Menschen nach Ursachen und Zusammenhängen für beobachtete Phänomene suchen. Nur wenn wir die Ursache für ein Phänomen kennen und verstehen, können wir versuchen daran etwas zu verändern. Denn dann haben wir einen konkreten Ansatzpunkt. So ist das auch beim Kinderwunsch. Vielleicht fragst Du Dich: "Ist Stress der Grund, dass ich nicht schwanger werde?" Wenn Du dann manchmal so etwas denkst wie: „Mein Stress ist schuld“ oder „Ich werde nicht schwanger, weil ich so viel Stress auf der Arbeit habe“, dann beantwortet das vordergründig die Frage nach der Ursache. Gleichzeitig wird damit die oft schwer auszuhaltende Unsicherheit kleiner, also die Unsicherheit woran es denn liegt, dass es nicht klappt. Langfristig gesehen tut man sich allerdings mit dieser Antwort keinen Gefallen.

Denn es liegt eben nicht am Stress und auch nicht an Deinen Gedanken, die Du Dir darüber oder über andere Fragen machst. Oder daran, dass Du nicht genug „gegen“ Deinen Stress tust. Irgendwann geht das in eine „Ich bin schuld“-Situation über. Dazu könnten wir jetzt einen eigenen Artikel schreiben (um ehrlich zu sein, den gibt es schon, und zwar in unserem Mitgliederbereich). Kurz gesagt sind Schuldgefühle unheimliche Energiefresser, genauso wie Grübeln. Und sie helfen Dir in Deiner jetzigen Situation nicht. Du brauchst Deine Kraft jetzt, um Dich gut für die Kinderwunschbehandlung aufzustellen.

Da es nicht am Stress selbst liegt und auch nicht an Deinen Gedanken, gibt es keinen Grund, die Schuld bei Dir selbst zu suchen, z. B. dass Du Dir selbst zu viel Stress machst oder zu viel Stress hast oder zu wenig entspannst oder oder oder…

Fassen wir nochmal zusammen:

  • Stress oder die Psyche sind nicht der Grund für eine dauerhaft ausbleibende Schwangerschaft. Meistens gibt es medizinische Gründe.
  • Durch Stress können aber bestimmte Verhaltensweisen entstehen oder beibehalten werden, die sich ungünstig auf das Schwangerwerden oder eine Kinderwunschbehandlung auswirken können.
  • Die Kinderwunschzeit ist für viele Frauen und Männer eine stressige Zeit. Ob mit oder ohne Kinderwunschbehandlungen oder künstliche Befruchtungen: Vor allem das Warten und ständige Hoffen auf eine Schwangerschaft erleben viele als emotional anstrengend und extrem stressig.   

Manchen Frauen und Männern hilft psychologische Unterstützung in der Kinderwunschzeit. Es gibt gute Methoden, mit Belastungen wie Wartezeiten oder partnerschaftlichen Problemen besser zurecht zu kommen. Wir sind mit MentalStark für Dich da und helfen Dir dabei, für Dich passende Methoden zu finden und anzuwenden. In unserem Mitgliederbereich findest Du weitere hilfreiche Informationen und Tipps rund um das Thema Kinderwunsch. Oder Du stellst Deine Fragen in einem unserer Webinare oder findest Unterstützung in den Austauschrunden. Melde Dich einfach für den kostenlosen Probemonat an und probier es aus! Wir freuen uns auf Dich und sind für Dich da!

Quellen:

1 Frauenärzte im Netz. Ungewollt kinderlos & Fruchtbarkeitsstörungen

2 AWMF-Leitlinie „Psychosomatisch orientierte Diagnostik bei Fertilitätsstörungen“, S. 17 f.

3 AWMF-Leitlinie „Psychosomatisch orientierte Diagnostik bei Fertilitätsstörungen“, S. 18